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Ist Tayammum erlaubt, wenn das Wasser ausfällt und es beschwerlich ist, es zu beschaffen und herbeizubringen?

Frage: 194268

Wir sind in Syrien und insbesondere in Idlib gibt es bei uns ständig Wasserausfälle. In unserem Ort gibt es ein öffentliches Zentrum – die Feuerwehr –, von dem wir Wasser holen können, aber nur mit Mühe. Die Frage: Wenn das Wasser in den Häusern und Moscheen ausfällt, ist Tayammum (die rituelle Trockenreinigung mit Erde) dann erlaubt oder nicht? Und wenn ja: Was ist der Beweis der Shafi'iten in Bezug auf das Thema „Hilfsentfernung” beim Suchen nach Wasser? (Arab. „Masafah Al-Ghauth“, also die Entfernung, innerhalb der ein Hilferuf noch gehört werden kann.)

Inhalt der Antwort

Alles Lob gebührt Allah, und der Segen und Frieden seien auf den Gesandten Allahs. Um fortzufahren:

Erstens:

Die Gelehrten der vier Rechtsschulen sind sich darin einig, dass man, wenn Wasser fehlt, zunächst danach suchen muss, bevor Tayammum erlaubt ist, es sei denn, man ist sich sicher, dass kein Wasser vorhanden ist. Allerdings sind sie unterschiedlicher Meinung (in der Frage), wie weit und in welchem Umfang diese Suche (also die Entfernung) zu erfolgen hat.

In der „Al-Mawsuʿah Al-Fiqhiyyah“ (14/255–256) heißt es: „Die Rechtsgelehrten sind uneinig über die Entfernung vom Wasser, die Tayammum erlaubt: Die Hanafiten vertreten die Ansicht, dass sie eine Meile beträgt, was vier­tausend Ellen entspricht. Die Malikiten setzen die Grenze bei zwei Meilen, die Shafi‘iten bei vierhundert Ellen, was dem sogenannten „Had Al-Ghauth” entspricht, also etwa eine Pfeilwurfweite. Dies gilt für den Fall, dass man das Vorhandensein von Wasser vermutet, annimmt oder darüber im Zweifel ist. Wenn man (in dieser Entfernung) kein Wasser findet, so darf man Tayammum vollziehen. Dasselbe Urteil gilt bei den Hanafiten, die das Suchen nach Wasser auf vierhundert Schritte begrenzen, wenn man dessen Nähe vermutet und Sicherheit besteht. Die Shafi‘iten sind der Ansicht, wenn man sich sicher ist, dass es in der Umgebung kein Wasser gibt, darf man Tayammum vollziehen, ohne (nach Wasser) zu suchen. Wenn man sich hingegen sicher ist, dass Wasser in der Nähe vorhanden ist, muss man es innerhalb der Nahentfernung suchen, die sechstausend Schritte beträgt. Bei den Shafi‘iten, sei es innerhalb des Nahbereichs oder der Hilfsentfernung, wird das Wasser nur dann gesucht, wenn man sich selbst, sein Eigentum und den Anschluss an die Gruppe nicht gefährdet. Die Malikiten sagen: Wenn man das Vorhandensein von Wasser sicher weiß oder vermutet, muss man es innerhalb von weniger als zwei Meilen suchen. Die Hanbaliten verlangen die Suche nur, wenn es sich in gewohnter Nähe befindet.” Ende des Zitats.

Das Ergebnis der shafi'itischen Rechtsschule ist, dass der Reisende vier Fälle hat:

Erstens: Wenn er sich sicher ist, dass kein Wasser vorhanden ist, dann darf er Tayammum vollziehen, ohne danach zu suchen.

Zweitens: Wenn er das Vorhandensein von Wasser vermutet, annimmt oder darüber im Zweifel ist, dann muss er in diesem Fall in seiner Unterkunft, bei seinen Gefährten und im Umkreis bis zur Hilfsentfernung nach Wasser suchen, und diese beträgt bei ihnen vierhundert Ellen. Findet er dort kein Wasser, darf er Tayammum vollziehen, weil er es nicht gefunden hat.

Die Hilfsentfernung bedeutet: Er soll sich so weit auf die Suche begeben, wie man seinen Hilferuf noch hören würde, also so, dass seine Gefährten ihn hören könnten, auch wenn sie mit ihren Tätigkeiten beschäftigt sind oder im Gespräch vertieft. Diese (Entfernung) variiert je nachdem ob das Gelände eben ist oder bergauf bzw. bergab verläuft.

Drittens: Wenn man weiß, dass sich Wasser an einem Ort befindet, den ein Reisender für bestimmte Bedürfnisse wie das Holzhacken oder Kräutersammeln erreichen kann und dieser Ort liegt über der zuvor genannten Hilfsentfernung, so wird dies als Nahbereich bezeichnet. Dieser beträgt bei ihnen (den Schafi‘iten) sechstausend Ellen. (In diesem Fall) ist man verpflichtet, das Wasser von dort zu holen, sofern man dabei nicht den Anschluss an die Reisegruppe verliert und die Gebetszeit nicht abläuft. Ist man davor (jedoch) nicht sicher, ist man nicht verpflichtet, das Wasser zu holen.

Viertens: Wenn sich das Wasser noch weiter entfernt befindet als der zuvor genannte Bereich, wird dies als „Fernbereich” bezeichnet. (In diesem Fall) vollzieht man Tayammum, da es aufgrund der großen Entfernung nicht verpflichtend ist, das Wasser aufzusuchen. Wenn man sich sicher ist, dass das Wasser am Ende der Gebetszeit verfügbar sein wird, so ist es besser zu warten, als das Gebet aufzuschieben und mit Wasser zu verrichten, als es sofort mit Tayammum zu beten. Ist man sich jedoch sicher, dass kein Wasser mehr kommen wird, oder man vermutet lediglich dessen Kommen oder zweifelt daran, dass es zum Ende der Zeit eintreffen wird, so ist es besser, das Gebet sofort mit Tayammum zu verrichten.

Siehe: „Rawdah At-Talibin” (1/93), „Hashiyat Al-Bujayrimi” (2/453–454), „Asna Al-Matalib” (1/73), „Al-Muqaddimah Al-Hadramiyyah” (S. 46).

Diese genannten Entfernungen beruhen auf unterschiedlichen Anstrengungen der Rechtsgelehrten. Ihr Ziel ist es, sicherzustellen, dass bei fehlendem Wasser, dessen Vorhandensein jedoch vermutet wird, mit angemessenem Aufwand und innerhalb der Gebetszeit wirklich nach Wasser gesucht wird, soweit es dem Rechtsfähigen (arab. Mukallaf) möglich ist.

Die Grundlage für die Verpflichtung des Rechtsfähigen, zunächst nach Wasser zu suchen, (bevor er Tayammum vollzieht), ist die Aussage Allahs, erhaben ist Er: „(…) und wenn ihr es nicht findet, dann vollzieht Tayammum.“ (An-Nisa:43)

Ibn Kathir – möge Allah ihm barmherzig sein – sagte: „Viele Rechtsgelehrte haben aus diesem Vers abgeleitet, dass derjenige, der kein Wasser hat, erst dann Tayammum vollziehen darf, nachdem er danach gesucht hat. Wenn er es gesucht und nicht gefunden hat, dann ist Tayammum erlaubt. Sie haben die Art und Weise der Suche in den Werken der Zweige (arab. Furu’) erwähnt.” Ende des Zitats, entnommen aus: „Tafsir Ibn Kathir” (2/318).

Zweitens:

Wenn das Wasser ausfällt und nicht verfügbar ist, und das Herbeischaffen mit Mühsal verbunden ist, dann gilt:

Entweder handelt es sich um eine offensichtliche, erhebliche Erschwernis, die in den regelmäßig wiederkehrenden religiösen Pflichten nicht tragbar ist, dann ist es dem Rechtsfähigen erlaubt, von den gesetzlichen Erleichterungen Gebrauch zu machen, die seiner Lage entsprechen.

Oder handelt es sich nur um eine leichte Erschwernis, wie sie in solchen Fällen tragbar ist, dann muss sie auf sich genommen und Wasser gesucht werden, und Tayammum ist nicht erlaubt.

Al-Hafiz As-Suyuti – möge Allah ihm barmherzig sein – sagte: „Die Erschwernis ist in zwei Kategorien einzuteilen:

  1. Eine Erschwernis, die mit einer gottesdienstlichen Handlung meist untrennbar verbunden ist, wie die Erschwernis der Kälte beim Vollziehen der rituellen Gebetswaschung oder der Ganzkörperwaschung, die Erschwernis des Fastens bei starker Hitze und langen Tagen, die Erschwernis des Reisens, die sich von der Hajj oder dem Sich-Abmühen nicht trennen lässt, sowie die Erschwernis des Schmerzes bei der Durchführung von körperlichen Strafen, der Steinigung von Ehebrechern oder der Vollstreckung von Todesstrafen. Solche Erschwernisse haben keinen Einfluss darauf, dass diese Gottesdienste unter allen Umständen verrichtet werden müssen.
  2. Die Erschwernis, die gewöhnlich vermeidbar ist bei gottesdienstlichen Handlungen. Sie ist in verschiedene Stufen einzuteilen:

Erste Stufe: Eine große und extreme Erschwernis, wie etwa die Furcht um das eigene Leben, um Gliedmaßen oder um die Funktionsfähigkeit von Körperteilen. Diese (Art der Erschwernis) verpflichtet eindeutig zur Erleichterung und Ausnahmeregelung, denn der Schutz von Leben und Gliedmaßen, um die Interessen der Religion aufrechtzuerhalten, hat Vorrang gegenüber der Gefährdung dieser durch eine gottesdienstliche Handlung, oder (sogar) mehrerer gottesdienstlicher Handlungen, durch deren Verlust nichts gleichwertiges erreicht werden kann.

Zweite Stufe: Eine leichte Erschwernis, die keine nennenswerte Bedeutung hat, wie etwa ein leichter Schmerz im Finger, leichte Kopfschmerzen oder ein geringes Unwohlsein. Solche (Erschwernisse) haben keine Auswirkung (auf die Pflichterfüllung) und finden keine Beachtung, denn das Erlangen des Nutzens der gottesdienstlichen Handlungen hat Vorrang vor dem Abwenden eines solchen Nachteils, das keine Auswirkung hat.

Dritte Stufe: Sie liegt zwischen den beiden vorherigen Stufen. Was der oberen Stufe nahekommt, verpflichtet zur Erleichterung. Was dagegen der unteren Stufe nahekommt, führt nicht dazu, wie etwa leichtes Fieber oder leichter Zahnschmerz.

Was unklar bleibt, welcher der beiden Stufen es zuzuordnen ist, darüber besteht Meinungsverschiedenheit. Eine genaue Festlegung dieser Stufen ist (zudem) nicht möglich, sondern sie lassen sich nur annäherungsweise bestimmen.

Und Shaykh 'Izz Ad-Din wies darauf hin, dass es vorzuziehen ist, die Mühsal jeder einzelnen gottesdienstlichen Handlung an der geringsten Mühsal zu messen, die im jeweiligen Fall als Grund für eine Erleichterung anerkannt wurde. Wenn die tatsächliche Erschwernis dieser Geringsten gleichkommt oder sie übersteigt, dann ist die Erleichterung gültig.” Ende des Zitats, entnommen aus: „Al-Ashbah wa An-Nazhaʾir“ (S. 80–81).

Shaykh Al-Islam Ibn Taymiyyah – möge Allah ihm barmherzig sein – sagte: „Wenn ein Landarbeiter befürchtet, dass sein Besitz gestohlen wird oder seine benötigte Arbeit unterbrochen wird, wenn er sich auf die Suche nach Wasser macht, dann darf er mit Tayammum beten. Wenn es ihm jedoch möglich ist, zwischen zwei Gebeten zu verbinden und sie dabei mit der Gebetswaschung zu verrichten, dann ist das besser, als die Gebete getrennt zu verrichten mit Tayammum. Dasselbe gilt für alle anderen entschuldigenden Umstände, bei denen Tayammum erlaubt ist: Wenn es für sie möglich ist, die Gebete zu verbinden und dabei die Gebetswaschung zu verwenden, dann ist das besser, als sie zu trennen und dabei Tayammum zu nutzen.“ Ende des Zitats, entnommen aus: „Majmu' Al-Fatawa” (21/457).

Shaykh Ibn 'Uthaymin – möge Allah ihm barmherzig sein – sagte: „Er ist verpflichtet, in seiner Nähe nach Wasser zu suchen und zu prüfen, ob es in seiner Umgebung einen Brunnen oder einen Teich gibt. Die ‚Nähe‘ hat keine exakt festgelegte Grenze, sondern man richtet sich dabei nach dem allgemeinen Brauch, und der Brauch variiert je nach Zeit und Umständen: In unserer Zeit, in der es Autos gibt, ist das, was früher weit war, nun als nah anzusehen. In der Vergangenheit, als es nur Kamele gab, konnte etwas, das als nah galt, tatsächlich weit sein. Er soll also in dem Maß suchen, wie es für ihn nicht beschwerlich ist und er dadurch nicht die Gebetszeit verpasst. Seine Aussage: „…und mit einem Führer“ bedeutet: Er ist verpflichtend, dass er mit einem Führer nach Wasser sucht, der ihn anweist. (D.h.), wenn er kein Wasser bei sich im Gepäck hat und nicht selbst suchen kann, weil er sich nicht auskennt oder weil er, wenn er sich vom Ort entfernt, verloren gehen würde, dann ist es verpflichtend für ihn, sich einen (Reise)führer (zu organisieren), sodass jemand anderes für ihn nach Wasser sucht, oder ihm (den Ort mit) Wasser zeigt, ob gegen Bezahlung oder unentgeltlich. Wenn er weder Wasser bei sich, noch in seiner Nähe und auch nicht durch einen Führer finden kann, dann ist es ihm erlaubt, Tayammum zu vollziehen.” Ende des Zitats, entnommen aus: „Ash-Sharh Al-Mumtiʿ“ (1/386).

Die Gelehrten des Ständigen Komitees wurden gefragt: „Wenn ich auf der Wiese bin, nehme ich nur so viel Wasser mit, wie ich selbst benötige. Darf ich dann Tayammum vollziehen, wenn das Dorf etwa einen Kilometer oder mehr von mir entfernt ist?“

Sie antworteten: „In diesem Fall ist es dir nicht erlaubt, für das Gebet Tayammum zu vollziehen, denn die Entfernung zu dem Ort, an dem Wasser vorhanden ist, ist nahe, und in der Regel ist mit dem Gang dorthin keine große Mühsal verbunden, und auch die Gebetszeit würde durch das Holen des Wassers in diesem Fall nicht überschritten werden.“ Ende des Zitats, entnommen aus: „Fatawa Al-Lajnah Ad-Da’imah” (4/179).

So ergibt sich aus dem zuvor erwähnten:

Wenn am Ort kein Wasser vorhanden ist, und es von den Häusern und Moscheen abgeschnitten ist, und das Herbeiholen des Wassers von der genannten Feuerwehrstelle nur unter großer Mühe und erheblicher Belastung möglich ist, oder wenn die herbei gebrachte Menge nicht ausreicht für den Lebensbedarf, sowie die Gebetswaschung und Ganzkörperwaschung, dann ist es für euch unbedenklich, Tayammum zu vollziehen. Dies stützt sich auf die Aussage Allahs – erhaben ist Er – am Ende des Verses über Tayammum: „Allah will euch keine Bedrängnis auferlegen, sondern Er will euch reinigen.“ (Al-Maʾidah:6) sowie auf die allgemeine Aussage Allahs, erhaben ist Er: „Allah will für euch Erleichterung; Er will für euch nicht Erschwernis.“ (Al-Baqarah:185)

Wenn jedoch das Wasser fehlt und abgeschnitten ist, das Herbeiholen von der Feuerwehrstelle aber mit einer Erschwernis verbunden ist, die für die Menschen in solchen Fällen gewöhnlich (und zumutbar) ist, dann ist es verpflichtend, Wasser für die rituelle Reinigung zu holen, und Tayammum ist in diesem Fall nicht erlaubt.

Und Allah weiß es am besten.

Referenz

Quelle

Islam Q&A